Emscherkunst-Katalog (2)
Über mir Gänse im Tiefflug. Mühsam schaufeln sie sich in die Höhe und passieren die Brückenskulptur „Warten auf den Fluss“. Auf meinem Weg entlang der Emscher docke ich bei Projekten der Emscherkunst an. Diesmal in Castrop-Rauxel, wo sich Emscher und Rhein-Herne-Kanal kreuzen ohne ihr Wasser zu mischen. Die Emscher duckt sich unter dem schiffebeladenen Kanal und fließt dann gelassen weiter. Diese Wasserstraßenbrücke bildet den Beginn einer Emscherinsel und hier erwartet mich „Warten auf den Fluss“. In vier Jahren soll an dieser Stelle die renaturierte Emscher fließen. Bis dahin bietet die raumgreifende Brückenskulptur Gelegenheit, das Kommen des Flusses zu erwarten. Ihre drei hölzernen Pavillons sind Hingucker und enthalten Schlafraum, Sitzraum und Zwillingstoiletten. Das Frühstück bereitet Herbergsmutter Marja Zomer. Sie hat gleich um die Ecke ihr Atelier eingerichtet. Wollen Sie die Skulptur aufsuchen? Dann vermeiden Sie Sonn- und Feiertage, denn an diesen Tagen werden selbst die 38 Meter dieses bewohnbaren Kunstwerkes sehr eng. Tipp: Erlaufen Sie sich die Skulptur – auf ihr und um sie herum. Sie hat viele Gesichter.
Ich trage den 1.770 Gramm schweren Katalog der Emscherkunst immer bei mir. Ich will ihn an den Orten begutachten, über die er berichtet. Bei manchen Kunstwerken finde ich schnell ein Entrée. So bei „Zur kleinen Weile“, einer begehbaren Skulptur in Dortmund. Soeben verlassen Klemens und Kerstin das steinerne Gebilde in Form einer Zipfelmütze und ich frage sie: „Wie wars?“ Kerstins strahlende Antwort „Großartig!“ wird von Klemens mimisch gestützt. Also schleune ich mich, selbst den Kunstraum zu betreten. Fazit: Gutes Ding. Erstmals höre ich Ungehörtes. Ein Kunstort, der mich noch mehr beeindruckt hat, gehört zu Gelsenkirchen. Plötzlich stehen wir uns gegenüber. Nur das Kunstwesen „Monument for a Forgotten Future“ und ich. Eine 12 Meter hohe Felsformation in Gestalt eines ruhenden Riesentieres. Als ich es umkreise, wechselt es seine körperliche Form. Das Wesen spricht zu mir: „Die Emscher war ein rücksichtslos benutztes, ja misshandeltes Wesen. Ihr Wehklagen war eine olfaktorische Wolke. Nun wird der Emscher diese Last genommen. Ich bin hier, um von früher zu berichten.“
Ich will auch endlich etwas über den Katalog sagen. Immerhin habe ich ihn inzwischen sehr lange transportiert, mehrfach erblättert und oft kreuzundquergelesen. Mit anderen Worten: Fortsetzung folgt.
Emscherkunst – Kunst im öffentlichen Raum im östlichen Ruhrgebiet, Kerber-Verlag, Juni 2016, ISBN 978-3-7356-0240-4, 39,00 Euro
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